Manova: 16-01-2025,

„Sie wohnten ‚Im Eisernen Zeit‘, ihrer ersten gemeinsamen Adresse.“ So steht es in Thomas Strässles „Fluchtnovelle“. Diese „Eiserne Zeit“, der Name von einer eisernen Wanduhr herrührend und nur allzu bald metaphorisch aufgeladen, liegt bloße 300 Meter von meinem früheren Wohnort entfernt, in der Nähe des Schaffhauser Platzes in Zürich. In den Tagen vor Weihnachten 2024, mittlerweile lange Jahre außerhalb der Schweiz lebend, fand ich auf sonderbare Weise dahin zurück, indem sich zwei Ereignisse in meinem Bewusstsein über diese „Eiserne Zeit“ ineinander verkeilten. Zufällig und scheinbar paradox.

Zum einen endet Thomas Strässles „Fluchtnovelle“, 1965 spielend und bei Suhrkamp 2024 verlegt, in dieser Quartierstraße. Der Ort wird zur ersten Station „in der Freiheit“ für eine Frau aus der damaligen DDR und ihrem Schweizer Freund. Auf abenteuerliche und erfinderische, ja äußerst kreative Art und Weise gelingt es ihnen, die staatliche Totalüberwachung durch den damaligen Kommunismus zu überlisten. Davon handelt Thomas Strässles gekonnte Textmontage.

Darin darf der Westen noch einmal — indes durchaus nicht pathetisch abgefeiert, das sei angemerkt — als Topos der Freiheit fungieren. Die Geschichte spielt unbehelligt von Cancel- und Korrektiv-Kulturen in den 1960ern. In derselben Quartierstraße, „Im Eisernen Zeit“ genannt, und 18 Jahre später endet das Leben von Renato. In mir verschränken sich die Dinge, weil ich zufällig Richard Dindos Dokumentarfilm „Dani, Michi, Renato und Max“ aus dem Jahr 1987 anschaue und zwei Tage später Strässles Text lese. Ein Weihnachtsgeschenk, Dezember 2024, irgendwo in Norddeutschland. Also in einem Land, das Menschen durch die Staatsmacht überfallen lässt, weil sie den grünen Wirtschaftsminister als „Schwachkopf“ bezeichnen oder weil sie in einem Social-Media-Eintrag „Deutschland über alles“ schreiben.

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